Der fliegende Holländer:
Richard Wagner:
So 19 01 2025:
Foto: Vincent Stefan
Romantische Oper in drei Aufzügen (1843)
Dichtung vom Komponisten
16+
Sprache:
In deutscher Sprache mit deutschen und englischen ÜbertitelnInhalt:
Rastlos, entwurzelt, auf der Suche nach einer Leerstelle, die niemand füllen kann: Die klanggewaltige Musik Richard Wagners lädt dazu ein, die getriebenen Figuren seiner Oper analytisch zu befragen. In der Neuinszenierung legt Regisseur Martin G. Berger sein Augenmerk auf die rätselhafte Vergangenheit Sentas, ihres Vaters Daland und des Holländers. Mit dem Mittel der Rückschau und der Erinnerung unternimmt die Inszenierung eine Tiefenbohrung. Sie legt Schicht für Schicht die patriarchalischen Strukturen offen, die die Beziehung von Vater und Tochter überschatten und aus denen sich die erwachsen gewordene Senta, nun ihre eigene Erlöserin, herauszukämpfen versucht. Das Bühnenbild von Alexandre Corazzola zeigt die Oberfläche einer Familienheimidylle und verwandelt sich mit den Videos von Vincent Stefan in einen psychologischen Raum.
Sopranistin Dorothea Herbert hat mit dieser Neuinszenierung ihr szenisches Debüt in Wiesbaden. Sie war zuvor bei den Internationalen Maifestspielen in einem Wagner-Konzert zu Gast. Mit der Partie der Senta sorgte sie jüngst in Prag für Aufsehen. Die Partie des Holländers übernimmt der finnische Bariton und erfahrene Wagnersänger Tommi Hakala. Daland wird verkörpert von Publikumsliebling Young Doo Park. Die Regie liegt bei Martin G. Berger, Autor und Operetten-Spezialist ebenso wie erfahrener Macher innovativen und Gesellschaft reflektierenden Theaters. 2020 erhielt er den renommierten deutschen Theaterpreis DER FAUST in der Kategorie „Beste Regie Musiktheater“ für „Ariadne auf Naxos“ in Weimar. Ebenso wurde ihm der Deutsche Musical-Theater-Preis zugesprochen sowie der Orpheus für besondere Verdienste um die Operette.
Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Leo McFall kehrt „Der fliegende Holländer“ zu den Internationalen Maifestspielen mit einer Gala-Besetzung zurück auf den Spielplan: Vida Miknevičiūtė besticht nicht nur als Senta auf den internationalen großen Bühnen. Mit Johan Reuter als Holländer und Stephen Milling als Daland kommen zwei führende Wagner-Interpreten erstmals ans Hessische Staatstheater.
Sopranistin Dorothea Herbert hat mit dieser Neuinszenierung ihr szenisches Debüt in Wiesbaden. Sie war zuvor bei den Internationalen Maifestspielen in einem Wagner-Konzert zu Gast. Mit der Partie der Senta sorgte sie jüngst in Prag für Aufsehen. Die Partie des Holländers übernimmt der finnische Bariton und erfahrene Wagnersänger Tommi Hakala. Daland wird verkörpert von Publikumsliebling Young Doo Park. Die Regie liegt bei Martin G. Berger, Autor und Operetten-Spezialist ebenso wie erfahrener Macher innovativen und Gesellschaft reflektierenden Theaters. 2020 erhielt er den renommierten deutschen Theaterpreis DER FAUST in der Kategorie „Beste Regie Musiktheater“ für „Ariadne auf Naxos“ in Weimar. Ebenso wurde ihm der Deutsche Musical-Theater-Preis zugesprochen sowie der Orpheus für besondere Verdienste um die Operette.
Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Leo McFall kehrt „Der fliegende Holländer“ zu den Internationalen Maifestspielen mit einer Gala-Besetzung zurück auf den Spielplan: Vida Miknevičiūtė besticht nicht nur als Senta auf den internationalen großen Bühnen. Mit Johan Reuter als Holländer und Stephen Milling als Daland kommen zwei führende Wagner-Interpreten erstmals ans Hessische Staatstheater.
Content Note:
Die Inszenierung thematisiert sexualisierte Gewalt.
Es kommt Stroboskop-Licht zum Einsatz.
Es kommt Stroboskop-Licht zum Einsatz.
Interview mit dem Produktionsteam:
Dieses Interview finden Sie auch in unserem Programmheft zur Produktion!
Martin G. Berger, Alexandre Corazzola und Vincent Stefan über Ideologie, Illusion und die schmerzhafte Arbeit des Erkennens. Ein Gespräch mit Katja Leclerc.
Worum geht es in der Legende
des fliegenden Holländer?
Alexandre Corazzola:
Ein Strang ist der Erlösungsgedanke, die Befreiung vom Ewig-auf-dem Meer-Verlorensein, aus der Einsamkeit, durch die Liebe. Insofern ist die Legende für mich ein Sinnbild für das Leben an sich. Doch die Befreiung geschieht durch einen Handel. Die Erlösung ist nicht so rein, wie sie sich anfangs präsentiert.
Martin G. Berger:
Für mich geht es in dieser Legende um Unterdrückung, um das Unausgesprochene, das im Dunkel Liegende. Der Holländer beansprucht darauf ein Recht. Satan gewährt es ihm: „Du kannst es haben, aber das hat die Konsequenz, dass es dich für immer verfolgen wird.“ Man kann nicht einmal kurz ins Dunkle abtauchen und danach ist alles wieder normal. Man muss die Konsequenz seines Handelns tragen. Es ist die Legende von einem Menschen, der einen Pakt mit dem Teufel schließt. Der Holländer wollte etwas erreichen, zu dem er als Mensch nicht fähig ist. Das kann man positiv lesen: Er hat sich nicht zufriedengegeben, ist angestürmt gegen die Natur, ist ein Prometheus. Ich bewerte den verhängnisvollen Pakt mit dem Satan hingegen nicht als heroisch, die Lage des Holländers nicht als tragisch, also im Sinne von: unwissentlich selbstverschuldet. Es ist die selbstgewählte Verdammung. Vincent Stefan: In der Oper von Richard Wagner, in der die Holländer- Legende mehrmals in Varianten erzählt wird, geht es ums Aufeinandertreffen von zwei Welten. Der fliegende Holländer bricht als fremdes Element in die Welt Dalands und Sentas hinein.
Es ist die Legende von einem Menschen, der einen Pakt mit dem Teufel schließt. Der Holländer wollte etwas erreichen, zu dem er als Mensch nicht fähig ist. Das kann man positiv lesen: Er hat sich nicht zufriedengegeben, ist angestürmt gegen die Natur, ist ein Prometheus. Ich bewerte den verhängnisvollen Pakt mit dem Satan hingegen nicht als heroisch, die Lage des Holländers nicht als tragisch, also im Sinne von: unwissentlich selbstverschuldet. Es ist die selbstgewählte Verdammung. Vincent Stefan: In der Oper von Richard Wagner, in der die Holländer- Legende mehrmals in Varianten erzählt wird, geht es ums Aufeinandertreffen von zwei Welten. Der fliegende Holländer bricht als fremdes Element in die Welt Dalands und Sentas hinein.
Alexandre Carazzola:
In unserer Interpretation erzählen wir aus Sentas Perspektive eine Art schrecklich schieflaufende Coming of Age-Story. Es ist die Geschichte einer Entzauberung, in der die Realität hinter dem Mythos erkannt wird. Das ist das Grauenvolle daran. In unserer szenischen Umsetzung geschieht das durch das Erzählen in zwei Zeitebenen: der Kindheit und der heutigen Gegenwart, in der Senta an den Ort der Kindheit zurückkehrt. Wir zeigen denselben Ort sowohl in der Vergangenheit – in Videosequenzen – als auch im Jetzt, wo auf der Bühne ein immer wiederkehrendes Sommerfest stattfindet.
Martin G. Berger
Die Handlung der Daland-Welt bildet den realistischen Rahmen, innerhalb dessen Daland und Senta in die Tiefe ihrer Psyche abtauchen. So erzählen wir einen Psychothriller: Daland gibt alle sieben Jahre eine Party, zu der das ganze Dorf sich als Piraten verkleidet und der Holländer-Mythos gefeiert wird. Dabei schauen sie immer den Film „Der fliegende Holländer“. Im Verlauf des Abends werden alle im übertragenen Sinne immer mehr zu Piraten: „Unleashing the inner pirates!“ Das Zivilisatorische wird mit dem Piratischen überschrieben. Legendär ist die Party vor einundzwanzig Jahren, bei der Dalands Frau ihn verlassen und die damals vierzehnjährige Tochter Senta mitgenommen hat. Nun kommt diese Tochter nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder an den Ort des Geschehens, ausgerechnet am Tag dieser Party. Sie will verstehen, warum ihre Mutter und sie damals weggegangen sind. Sobald sie ihr altes Zuhause betritt, hat sie ein ungutes Gefühl. Nach und nach findet sie an diesem Abend heraus, dass dem Auszug ein Übergriff des Vaters gegen sie vorausgegangen ist. Senta realisiert nur langsam, dass ihr Vater der Täter war – denn alle sind auf dem Fest als Piraten verkleidet. Sie meint sich zu erinnern, dass die Filmfigur ihr real erschienen ist, wohlwissend, dass das nicht möglich ist. Tatsächlich hatte sie aus Eigenschutz in ihrer Vorstellung den liebenden Vater und den zerstörerischen Vater in zwei Personen aufgespalten, wie es bei Betroffenen von Übergriffen durch nahestehende Menschen passieren kann. Daland und Holländer sind zwei Seiten einer Medaille.
Der fliegende Holländer verkörpert etwas, wofür man in seiner Entstehungszeit – der Zeit der Romantik – brannte: die Nachtseite, den Albtraum, den Abgrund in uns selbst. Warum eignet sich ein Mythos für diese Erzählung besonders gut?
Martin G. Berger
In Mythen werden Dinge eingesperrt, die schrecklich sind, vor denen gewarnt werden soll. Zum Beispiel Rotkäppchen: Geh nicht alleine in den Wald, sonst triffst du den Wolf, und hinterher ist dein Cape rot. Man muss kein Tiefenpsychologe sein, um zu erkennen, welche Warnung da an junge Mädchen gegeben wird. Das Schreckliche wird im Mythos separiert von der Gesellschaft. Das Spannende in Wagners „Holländer“ ist, dass Senta als einzige in dieser Dorfgesellschaft den Mythos konfrontieren will. Sie will ihm auf den Grund gehen.
Ironischerweise wird genau davor im Holländer-Mythos gewarnt: Wage ja nicht, dich von der Gesellschaft zu separieren!
Martin G. Berger:
Ja! Und Senta hat als einzige die Energie dazu – und bekommt von Richard Wagner dafür auch machtvolle Musik geschrieben. Senta erzählt die Legende mit ihren eigenen Worten nach und schließt die Ballade mit einem Impuls zum Handeln: Ich will sein Bild von der Wand abnehmen, es vermenschlichen und ihm nachfühlen! Das ist die revolutionäre Sprengkraft Sentas, mit der sie den Mythos offenlegt.
Senta vollzieht als einzige Figur eine „Arbeit am Mythos“,
um mit dem Philosophen Hans Blumenberg zu sprechen.
Ihre Methode des Erkenntnisgewinns ist die Wiederholung
von Erinnerung. Die Wiederholung ist auch ein Stilmittel der Inszenierung. Wir nutzen sie, um den Mythos zu entkleiden. Wie entstehen in Bühne und Video mehrere Varianten von Sentas Erinnerung?
Alexandre Corazzola:
Es ist wie das Zwiebelschälen bei Stanislawski. Am Anfang sehen wir das Haus als geschlossenen Kubus und erhalten nur über das Video Einblick – wie auf einem Röntgenbild. Die Oberfläche schält sich nach und nach, indem das Haus sich nicht nur verschiebt und dreht, sondern auseinanderbricht. Am Schluss werden die Vorhänge heruntergerissen, und es enthüllt sein Inneres.
Vincent Stefan:
Bühnenbild und Video sind ineinander verschränkt. Wir haben eine regelrechte „Video-Bühne“ kreiert. Alexandre hat die Innenräume von Dalands Haus, die wir live am Theaterabend nie sehen, für die Dreharbeiten als Filmset bauen lassen. Wir drehen also im Haus und projizieren später sein Inneres auf die Fassade. Im Film können wir eine Zeitreise machen, drei Mal sieben Jahre zurückgehen oder im Jetzt anknüpfen.
Martin G. Berger:
Das Video verschmilzt komplett mit der Narration – ohne Video kann man den Abend nicht verstehen. Figuren sehen das Video als ihre Erinnerung, sie spielen im Videobild, die erwachsene Senta kommuniziert sogar in einem Moment mit der kindlichen Senta über das Video. Bestimmte Momente in der Handlung sehen wir immer wieder, auf der Bühne gespielt und im Film. So gibt es drei Varianten von Sentas Erinnerung an den letzten Abend beim Vater. Wir können im Film unterschiedliche Ausschnitte zeigen und die Dinge ausblenden, so wie es auch in unserer äußerst unzuverlässigen Erinnerung geschieht: Für Daland stellt es sich so dar, dass er mit seiner Tochter eine gute Zeit hatte und aus seiner Sicht bestraft und gedemütigt wurde, als die Mutter ihm das Kind „entzog“. Senta hingegen geht mit allen Varianten ihrer Erinnerung bis zum schmerzlichen Kern der Wahrheit.
Andere Figuren der Romantik wie der Vampir und das Monster Frankensteins erlangten durch Theater und Film erst zu immenser Popularität. An Dich als Videokünstler gerichtet: Wie stark ist der Zusammenhang zwischen Wagners Opern und Film?
Vincent Stefan:
Die Filmmusikgeschichte – von Erich Wolfgang Korngolds Musik zu „The Adventures of Robin Hood“ bis zum „Star Wars“- Soundtrack und Hollywood heute – funktioniert nach Wagners Leitmotiv- Technik. Die Geburt des modernen Films erfolgte aus Wagners Ideen für das Bayreuther Festspielhaus wie dem unsichtbaren, überdeckelten Orchester und der durch die Architektur des Zuschauersaals hervorgerufene Illusion, Teil des Bühnengeschehens zu sein. Er hat sozusagen einen Dunkelraum konzipiert – wie ein Kino. Heute entspricht dieser wie eine Geige gebaute Zuschauerraum dem Dolby Surround-System im Kino – alles Mittel für die Erzeugung einer totalen Illusionsmaschinerie.
Ich höre heraus, dass dieser Kontrolle über die Vorstellungskraft, die Wagner mit seinen Techniken auf die Zuschauer*innen ausübt, auch zu misstrauen ist …
Vincent Stefan:
Wagners Hauptzutat, der Mythos, bedeutet auch Herstellung von Macht und die Möglichkeit, diese zu missbrauchen. Je öfter man eine Geschichte wiederholt, desto stärker wird ihr Wahrheitsanspruch. Ich denke zum Beispiel an die Märchensammlung der Brüder Grimm …
Martin G. Berger:
… oder an Jesus …
Vincent Stefan:
… oder an die Techniken eines Politikers wie Donald Trump, etwas, das völlig abseits einer Realität ist, durch Wiederholung einen Wahrheitsanspruch zu geben. Diesen Anspruch hat Wagner nicht nur in seiner Verwendung von Mythen, sondern auch in seiner Kompositionsstruktur angelegt: in der Technik des Leitmotivs. Durch permanente Wiederholung und Kopplung beispielsweise an eine Figur entsteht eine Art totalitäre Erzählung, die in der Wagner Analyse ab den 1960er Jahren stark als ideologisch kritisiert wurde.
Was kann unsere Setzung mit Bühne, Film und Musik leisten, um diesen „Ideologieapparat“ zu durchbrechen?
Vincent Stefan:
Der erste Bruch ist, kein Schiff aufzubauen, sondern ein Haus, das das Schiff in sich trägt. Wir bauen keine passiv zu rezipierende, romantisierende Scheinwelt, sondern ein Setting mit Verfremdungsmomenten. Martins Regie begreift die Holländerfigur als Machtprinzip und bricht sie sozusagen auf, indem er sie als Projektionsfläche mit verschiedenen Charakteren wie Daland und Senta verbindet.
Martin G. Berger:
Wagner lässt seine Hauptfigur Senta am Ende im Mythos aufgehen – sie stürzt sich für die Erlösung des Holländers in den Tod. Wir machen die umgekehrte Bewegung: Senta fühlt sich vom Mythos angezogen, aber um ihn aufzulösen, ein Geheimnis ans Tageslicht zu bringen. In der Inszenierung löst sie sich also nicht im Mythos auf. Sie ergibt sich ihm nicht. Im Gegenteil.
Termine:
So
26 01 2025
18 Uhr
Musiktheater: Großes Haus:
Sa
01 02 2025
19.30 Uhr
Musiktheater: Großes Haus:
Mi
05 02 2025
19.30 Uhr
Musiktheater: Großes Haus:
Sa
15 02 2025
19.30 Uhr
Musiktheater: Großes Haus:
Fr
28 02 2025
19.30 Uhr
Musiktheater: Großes Haus:
Do
27 03 2025
19.30 Uhr
Musiktheater: Großes Haus:
Fr
11 04 2025
19.30 Uhr
Musiktheater: Großes Haus:
So
11 05 2025
18 Uhr
Internationale Maifestspiele: Zum letzten Mal in dieser Spielzeit: Musiktheater: Großes Haus:
Besetzung:
Musikalische Leitung:
Inszenierung:
Bühne:
Kostüme:
Esther Bialas
Video:
Licht:
Klaus Krauspenhaar
Chor:
Dramaturgie:
Der Holländer:
Daland:
Senta:
Erik:
Mary:
Der Steuermann:
Chor:
Orchester:
Statisterie:
Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Tagesbesetzung:
Musikalische Leitung:
Inszenierung:
Bühne:
Kostüme:
Esther Bialas
Video:
Licht:
Klaus Krauspenhaar
Chor:
Dramaturgie:
Der Holländer:
Tommi Hakala
Daland:
Young Doo Park
Senta:
Dorothea Herbert
Erik:
Aaron Cawley
Mary:
Ariana Lucas
Der Steuermann:
Joshua Sanders
Chor:
Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Chor:
Extrachor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Orchester:
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Statisterie:
Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden